Textilstandort Deutschland

Wandel der Zeit

Es ist dünn geworden in der deutschen Textillandschaft – Deutschland mag führend sein bei technischen Textilien, aber bei den „normalen“ Textilien sieht es schlecht aus. Obwohl wir in Deutschland Weltmeister im Verbrauch von Bekleidungs- und Heimtextilien sind, wird davon sehr wenig in Deutschland produziert. Und noch viel geringer ist der Anteil an Rohstoffen aus Deutschland. Lassen wir die Kunstfasern mal außen vor, die man überall auf der Welt produzieren kann. Und Baumwolle fällt raus, die wächst hier nicht. Dann bleiben so interessante Fasern wie Leinen, Hanf und Schafwolle. Und für alle drei Fasern existiert keine vollständige Verarbeitungskette mehr in Deutschland. Für Leinen und Hanf ist nie eine Verarbeitung im industriellen Maßstab entwickelt worden. Der Konkurrent Baumwolle war einfach zu billig. Deutsche Schafwolle ist erst von den Kunstfasern und später von australischer Merinowolle verdrängt worden. Heute kaufen die meisten Wollverarbeiter fertig gewaschene Merinowolle aus Übersee, die schon mehrere tausend Kilometer auf dem Buckel hat, bevor sie eine deutsche Spinnerei, Weberei oder Strickerei von innen sieht.

Dabei war die Herstellung von Kleidung einst fast flächendeckend in Deutschland vorhanden. Einzelne Landstriche entwickelten verschiedene Spezialisierungen, je nach örtlichen Gegebenheiten.

Das Wendland war eine Leinen-Hochburg.

Auch das Wendland war ein Textilstandort. Nämlich für Leinen. Im Frühjahr wurde der Flachs angebaut, Mitte des Sommers geerntet und geröstet. Bis in den Herbst hinein dauerte die Gewinnung der Fasern – das alles neben dem normalen Bauernalltag. Im Spätherbst war die ganze Familie mit dem Spinnen des Garns beschäftigt – es war mitnichten nur Frauenarbeit. Ab der Weihnachtszeit wurde der Webstuhl in der guten Stube aufgeschlagen und es wurde “nach Feierabend” gewebt – manchmal die ganze Nacht durch und in Schichten wechselten sich die Leute ab. Ergebnis waren hochwertige Leinenstoffe, die in Lüchow in der „Leinen-Legge” bewertet und angekauft wurden. Von da aus wurde der Stoff bis ins Ausland vertrieben.

Geschneidert wurde die Kleidung dann auch selbst oder durch Schneider*innen, die ins Haus kamen zum Maß nehmen und teilweise auch vor Ort arbeiteten – und immer mit den selbst hergestellten Stoffen.

Textilproduktion in Deutschland heute

Die Leinenproduktion gibt es so im Wendland heute nicht mehr. Aber die Textilproduktion ist immer noch ein großer Wirtschaftszweig in Deutschland. Der Fokus liegt allerdings auf technischen Textilien und weniger auf Bekleidung. Technische Textilien werden z.B. in der Landwirtschaft als Vogelschutznetze, in der Geologie als Erosionsschutzmatten oder in der Architektur als Spanndecken eigesetzt.

Es gibt noch ca. 1.300 zumeist mittelständische Betriebe mit insgesamt 130.000 Beschäftigten. Deutschland ist fünftgrößter Exporteur von Textilien: 40% aller in Deutschland hergestellten Textilien werden exportiert. Das entspricht einem Gesamtvolumen von 11,2 Mrd. €! (Quelle: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Textilindustrie)

Fokus Wollverarbeitung in Deutschland

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren deutsche Firmen führend im Wollhandel und der Verarbeitung bis zum Vorgarn. Allein die Nordwolle in Delmenhorst produzierte in den 1920er Jahren ein Viertel der Weltwollproduktion an Vorgarn. (Quelle: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Norddeutsche_Wollk%C3%A4mmerei_%26_Kammgarnspinnerei)

In den 1980er Jahren machten der vermehrte Gebrauch von Kunstfasern und die Wollimporte aus Übersee den deutschen Wollverarbeitern das Leben schwer. Die Zusammenführung der Märkte durch die Wiedervereinigung bescherte einen Preisverfall bei gewaschener Wolle auf ein Drittel des Preises von vor 1990. 2009 schloss dann die letzte Wollwäsche in Deutschland, die Bremer Wollkämmerei, ihre Pforten.

Seitdem ist die Wertschöpfungskette für Wollverarbeitung in Deutschland unterbrochen. Die nächstgelegenen Wollwäschereien befindet sich in Polen, der Tschechei und Belgien.

Weiterverarbeiter wie Spinnereien, Webereien und Strickereien gibt es noch eine ganze Menge in Deutschland. Es sind meist mittelständische Familienunternehmen mit teilweise sehr langer Tradition. Die meisten sind allerdings nicht an deutsche Wolle „gewöhnt” und verarbeiten nur Wolle aus Übersee.

Weiterer Knackpunkt sind die Mindestmengen für Verarbeitung. Weil alles auf „höher, schneller, weiter” optimiert ist, lohnt sich die Verarbeitung kleinerer Chargen nicht. Die Produktion ist eng getaktet und es bleibt keine Zeit, um neue, unbekannte Materialien auszuprobieren, man bleibt bevorzugt bei bekannten Rohstoffen und Lieferanten. Nur wenige Verarbeiter haben Erfahrung mit deutscher Wolle oder Lust, sich auf das Abenteuer einzulassen.

Dabei kann regionale Wolle ein Schlüssel zu einer nachhaltigeren Textilproduktion sein. Denn die Herstellung von Kleidung ist derzeit ein sehr schmutziger und unfairer Industriezweig.

Unser Ziel

Wir arbeiten daran, weitere Teile der Woll-Wertschöpfungskette in der Region zu etablieren. Dazu ist es hilfreich, ein Netzwerk von allen Beteiligten an der Woll- Wertschöpfungskette aufzubauen: von Schäfer*innen bis zu Spinner*innen, Weber*innen, Handfärber*innen usw. Es ist sehr wichtig, sich auszutauschen und voneinander zu lernen, denn nur, wenn wir von den besonderen Anforderungen in den anderen Teilen der Kette wissen, können wir im eigenen Bereich Qualitätsverbesserungen für das Endprodukt erreichen. So arbeiten wir gemeinsam an einer Qualitätssteigerung der regionalen Wollproduktion.

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